In meinem Anglistik Studium (zu deutsch: Englische Sprache und Literatur) wird von den Studenten verlangt, dass jede und jeder in ein englischsprachiges Land Arbeiten oder Studieren geht. Für mich war von Anfang an klar, dass mir eine interessante Arbeitserfahrung lieber wäre als ein Auslandsemester, so sehr ich das Studentenleben auch geniesse…
Nach einigen gescheiterten, zugegebenermassen halbherzigen, Versuchen mich bei einer Permakultur oder Biofarm zu bewerben, schrieb ich zuerst Jerry Miszewski von Balancecommunity.com aus den USA eine Nachricht. Nach einigem hin und her schien ihm ein Praktikant aber nicht praktikabel. Danach versuchte ich es bei Jason Fautz, der eine kleine aber feine Bude mit Namen «SlacklineTechnology» oder «SlackTech» betreibt und Komponenten für Long- und Highlines herstellt. Diesem war mein Wunsch, für ihn gratis arbeiten zu wollen, überhaupt nicht zuwider und die Sache war letzten Februar nach drei Facebook Nachrichten gebongt. Zu meinem Erstaunen war die Universität auch völlig bereit mir dafür Credits zu geben und ein Visum brauchte ich als „volunteer“ auch keines. Der organisatorische Aufwand hielt sich also in Grenzen.
Am 22. Juni, zwei Tage nach einem gelungenen Geburtstags- und Abschiedsfest, gings also los und nach drei Flügen und viel zu wenig Schlaf holte mich Jason um halb ein Uhr morgens in Redmond OR, am Flughafen ab und fuhr mich auf den Smith Rock Camping. Zuallererst fielen mir die Sterne auf. Ich hatte die erste Nacht noch kein Zelt und es war Neumond, man sah die Milchstrasse und tausende kleine Sterne die bei uns zu Hause nur selten sichtbar sind, es fing also alles gut an. Am nächsten Morgen gings dann los mit einem Spaziergang um Smith Rock State Park und den ersten Bekanntschaften, von denen ich die Hälfte in meinem «gejetlaggten» Zustand wieder vergass. Dennoch entwickelten sich diese Bekanntschaften im Verlaufe der Acht Wochen zu Freundschaften. Ich könnte allein über die farbenfrohen Gestalten, die die Slackline und alternative Szene vor Ort ausmachten, Bände schreiben. Werde mich aber für diesen Blog auf eine Zusammenfassung der Ereignisse beschränken müssen. Schliesslich war die Arbeit spannend und die Community einzigartig und an Highlines, Seilsprüngen, Spacenets und ein wenig Rumreisen fehlte es auch nicht.
Smith Rock hat eine sehr hohe Dichte an Highlines die bereits etabliert sind und weitere die es noch werden wollen. Fast alle Lines sind unter eine Stunde zu Fuss vom Bivy (Camping) erreichbar, und da einige Highliner gleich dort wohnen war es (natürlich nicht ohne die obligatorische «Slackline Viertelstunde» Verspätung vor dem losgehen) einfach die Lines zu riggen. Es kam vor, dass die Locals nicht immer ganz so motiviert waren wie die Auswärtigen, da sie sozusagen im Schlaraffenland leben.
Nach einigen Wochen ging es mir aber genau gleich, da die Temperaturen im Sommer gegen die 40 Grad klettern und man nebst dem Highlinematerial auch gut und gern 2 Liter Wasser pro Person einrechnen durfte. So war es dann auch häufig so, dass die Lines eine Woche lang hingen und man jeweils Abends und frühmorgens die angenehmen Temperaturen ausnutzen konnte. Um die Mittagszeit wälzten sich viele um den Bivytisch oder tranken im lokalen Kletterladen, der gleichzeitig auch eine Bar war, ein Bier.
Bei Vollmond waren aber alle voller Tatendrang um durch die Nacht zu Klettern oder einmal gar einen Ropeswing aufzubauen. Bei Temperaturen um die 15 Grad und sternenklarem Vollmond hat das auch immer Spass gemacht. Wolken und Regen waren übrigens selten ein Thema. Während den ganzen acht Wochen regnete es lediglich zwei bis dreimal.
Abgesehen von den ganzen schönen Highlines war die Community das eigentliche Highlight des Aufenthalts. Egal wie schräg man auch war, es wurden alle mit offenen Armen empfangen; solange man friedlich miteinander umging. Abends sassen wir Langzeitcamper mit zufälligen Gestalten um unseren Tisch und quatschten bis es dunkel wurde, schmiedeten Pläne für Highlines, massierten uns gegenseitig mit einer Autopoliermaschine (Who’s up for a «buffing»?!) und kochten zusammen das Abendessen. In der nächstgelegenen grösseren Stadt, Bend, existiert auch eine lebhafte Akro-Yoga und Hippie Community, welche sehr zum Rumhängen einlud und sogar einmal eine oben-ohne Party veranstaltete. Die vielen schönen Stunden mit den Leuten verflogen leider viel zu schnell und es gab häufig Momente wo ich gerne länger geblieben wäre um mehr als nur die kurzen acht Wochen am Leben um Smith Rock teilzuhaben.
Glücklicherweise lagen auch noch zwei Ausflüge mit Jason drin. Beide offiziell fürs Business, aber der Spass kam trotzdem nicht zu kurz. Zuerst fuhren wir acht Stunden via Seattle (höllischer Verkehr) nach Bellingham, WA. Wir besuchten eine Seilfabrik und Jason hatte noch anderes zu erledigen. Wir schliefen im Hause eines alten Freundes von Jason und freuten uns einmal ein Dach über dem Kopf zu haben. Ausserdem fanden wir noch einen freien Vormittag um eine 100m Midline über dem Meer zu spannen, selbstverständlich alles auf PRIVATE PROPERTY die mit unzähligen NO TRESPASSING Schildern gespickt war. Der Aufbau verlief dank unserem perfekt getarnten, leuchtgelben Gummiboot mit Leck reibungslos und nachdem ich die Line einmal gelaufen war und Jason sich darauf ausgepowert hatte, waren wir auch schon wieder verschwunden und schafften es gerade noch rechtzeitig an ein Meeting am Nachtmittag.
Der Zweite Trip, in der drittletzten Woche, führe uns Nach Salt Lake City, UT an die Outdoor Retailer Show: die grösste Outdoormesse in den USA. Da wir keinen eigenen Stand hatten und Jason fleissig am networken war, blieb mir nichts anderes zu tun als die unzähligen Stände abzuklappern und mit meinem «ATHLETE» Badge und Bildern vom Highlininen bewaffnet so viel «free swag» zu sammeln wie möglich. So sicherte ich mir einen Schlafsack der sich auch als eine Art Pullover der Superlative tragen lässt, Sandalen, Leggins mit grellem Muster, Notizbücher, ein Buff, ein Strandzelt und viel zu viele Sticker. Ausserdem gelangen mir Einblicke in die kommerzielle Welt der Outdoorbranche und auch ich machte einige Connections und sammelte fleissig Visitenkarten.
Gesund war die Show allerdings nicht: wir schliefen im Auto oder irgendwo auf einem Spielplatz (wobei Jason einmal mit einem Rasensprenger Bekanntschaft machte) oder neben einem Bahngeleis und assen vor allem was wir von den Energieriegel-Herstellern und anderen Outdoor Verpflegungsfirmen kriegen konnten. Danach waren meine zwei Campingmatten und mein kleines Zelt im Bivy der reinste Luxus, allerdings erst nachdem wir die 12 Stunden Heimfahrt bewältigt hatten. Am Salt Lake Trip faszinierte auch die unglaublich Weite der Landschaft, die in Europa so schwer zu finden ist. Kilometerweit erstreckt sich eine schnurgerade Strasse über die Hochebene und nur ab und zu trifft man auf eine einsame Tankstelle oder ein kleines Städtchen mit einigen verwitterten Gebäuden; wobei die Landschaft eindeutig schöner ist als die Niederlassungen der wenigen Einwohner.
Alles in allem habe ich die Menschen mitsamt Smith Rock ins Herz geschlossen und hoffe eines Tages nur zum Reisen und Entdecken zurückzukehren. Die acht Wochen gingen viel schneller vorbei als ich es mir erhofft hatte und der Abschied viel mir schwerer als ich es Anfangs für möglich gehalten hatte, als ich den ersten Fuss auf den kargen Boden von Redmond setzte. Am letzten Abend gab es noch eine kleine Feier in der Kletterbar, selbstverständlich mit zwei Buffern (also wieder Autopoliermassagen), guten Leuten und ein wenig Bier. Nick Braun, ein lokaler Fotograf, schenkte mir noch grosse Poster von Fotos die er am Tage zuvor von mir auf «Temple of the Winds» aufgenommen hatte; der schönsten Line im Park die ich glücklicherweise noch Aufbauen und Laufen durfte. Eines der Poster liess ich von allen Anwesenden signieren und machte mich um Mitternacht traurig auf den weg zum Camping um wenigstens noch zu duschen und drei bis vier Stunden zu schlafen, bevor es dann um halb fünf Uhr Morgens zum Flughafen ging.
Geschrieben von Marc